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Titel
Fraying Fabric. How Trade Policy and Industrial Decline Transformed America


Autor(en)
Benton, James C.
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 293 S.
Preis
$ 125.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fritz Kusch, Sonderforschungsbereich 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik, Universität Bremen

Die Erklärung industriellen Niedergangs birgt historiographische Tücken. Je dramatischer der Abstieg einer Industrie ausfällt, desto unausweichlicher erscheint er retrospektiv und überdeckt nicht eingetretene, vergangene Zukünfte. Betrachtet man in diesem Lichte den Zusammenbruch der US-Textilindustrie seit den 1970er-Jahren – zwischen 1974 und 2019 sank die Beschäftigtenzahl um über 90 Prozent –, so ist an der von James Benton, Direktor des Race and Economic Empowerment Project der Georgetown University, vorgelegten Studie zuallererst hervorzuheben, dass sie diesen Fallstricken konsequent ausweicht. Vielmehr wirft die Studie einen offenen, analytischen Blick auf die Entwicklung der US-Textilindustrie und die Rolle des gewerkschaftlichen Protests gegen Textilimporte vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Mit den Amalgamated Clothing Workers of America, der Textile Workers’ Union of America, den United Textile Workers of America und der International Ladies’ Garment Workers’ Union sind die vier großen US-Textilgewerkschaften die Hauptakteure der Studie, deren Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungsträgern und der Dachgewerkschaft AFL-CIO im Mittelpunkt steht. Mit der Fokussierung auf die 1960er- und 1970er-Jahre schließt Benton eine Lücke in der Historiographie zur US-Textilindustrie1 und erweitert durch seine Betonung der handelspolitischen Positionierung die umfangreiche Literatur zur Geschichte der Textilgewerkschaften.2 Benton versteht seine Studie vornehmlich als Versuch, den Aufstieg des Trumpismus zu erklären. Dementsprechend ist den chronologisch angeordneten sechs Kernkapiteln das paradigmatische erste Kapitel „How Did We Get Here?“ vorangestellt, in dem Benton den Niedergang der US-Textilindustrie seit den 1970er-Jahren in geraffter Form nachvollzieht und eine Analyse der Präsidentschaftswahl 2016 anschließt.

Im zweiten Kapitel setzt Benton seine Analyse neu an und arbeitet das ambivalente Verhältnis der (Textil-)Gewerkschaften zum New Deal heraus. Überzeugend argumentiert er, dass die Reformpolitik Roosevelts zwar der Gewerkschaftsbewegung als Ganzes zu vorher ungekannter Größe und Einfluss verhalf und diese so in die New-Deal-Koalition einband, die mit den Wirtschaftsreformen einhergehende Politik jeweils bilateral verhandelter Zollsenkungen im Rahmen des Reciprocal Trade Agreement Program (RTAP) die importsensible Textilindustrie aber zunehmend unter Druck setzte und so eine importkritischen Haltung der Textilgewerkschaften begünstigte.

Der kriegsbedingte Ausfall der Konkurrenz in Westeuropa und Ostasien löste einen Boom der US-Textilbranche aus, der allerdings, wie Benton im dritten Kapitel aufzeigt, mit dem Wiedererstarken vor allem der japanischen Importkonkurrenz spätestens in den 1950er-Jahren endete. Die mittels des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) verstetigte Politik multilateral verhandelter Zollsenkungen verstärkte die Wirkung der Handelsabkommenspolitik des RTAP noch. Aufgrund des erneut aufziehenden Importdrucks konzentrierten sich die Textilgewerkschaften auf den Erlass von Importquoten als vorrangiges politisches Ziel, während die AFL-CIO weiterhin die GATT-Verhandlungen und das RTAP unterstützte.

Im vierten und fünften Kapitel zeigt Benton anhand der Präsidentschaften Kennedys und Johnsons, dass die Handelspolitik angesichts des scharfen Importdrucks in den 1960er-Jahren zunehmend einen Spaltpilz darstellte, der die Gewerkschaftsbewegung sukzessive aus der New-Deal-Koalition herauslöste. Um die wegen seiner Bürgerrechtspolitik erzürnten Südstaatendemokraten zu besänftigen, legte Kennedy zwar einen Siebenpunkteplan zur Unterstützung der südstaatlichen Textilindustrie vor, verweigerte allerdings aus Furcht vor einem Handelskrieg und daraus entstehenden Nachteilen für Exportindustrien eine handelspolitische Kehrtwende in Form direkter Importrestriktionen. Zudem hielt er in Übereinstimmung mit der strikt antikommunistischen AFL-CIO die Freihandelspolitik für ein probates Mittel zur Blockbildung im Kalten Krieg. Um die Zustimmung der Gewerkschaften zum Trade Expansion Act von 1962 zu sichern und die New-Deal-Koalition zusammenzuhalten, legte Kennedy mit Trade Adjustment Assistance (TAA) ein Sozialprogramm auf, das von Importkonkurrenz bedrohte Arbeiterinnen und Arbeiter auffangen sollte. Im Gegensatz zur AFL-CIO lehnten die Textilgewerkschaften das Gesetz allerdings ungeachtet dieser Konzession ab. Als sich TAA in der Folge tatsächlich als unwirksam erwies, der Druck auf importsensible Industrien trotz verschiedener Regierungsbemühungen, die allerdings vor direkten Importrestriktionen zurückschreckten, weiter zunahm und Johnson in der Kennedy-Runde der GATT-Verhandlungen 1967 sogar weitere Handelsliberalisierungen durchsetzte, näherte sich die AFL-CIO unter dem Motto „Fair Trade, not Free Trade“ erstmals vorsichtig der Position der Textilgewerkschaften an.

Die Präsidentschaft Richard Nixons, die den Rahmen für Bentons sechstes und siebtes Kapitel bildet, ließ bei den Textilgewerkschaften kurzzeitig die Hoffnung aufkommen, doch noch den Erlass von Importquoten erreichen zu können. Als Teil seiner Southern Strategy hatte Nixon einen solchen Schritt bereits im Wahlkampf nicht ausgeschlossen. Als dann im März 1970 Verhandlungen über freiwillige Ausfuhrbeschränkungen Japans scheiterten und die Textilgewerkschaften gleichzeitig zu einem landesweiten Protest über 200.000 Demonstrantinnen und Demonstranten auf die Straße brachten, deutete Nixon an, etwaige Textilimportrestriktionen des Kongresses nicht blockieren zu wollen. Die darauffolgenden protektionistischen Kongressinitiativen, die Mills Bill von 1970 und die Burke Hartke Bill von 1972, fanden die Unterstützung nicht nur der Textilgewerkschaften, sondern nun auch der AFL-CIO. Sie blieben allerdings aufgrund der von den stark freihandelsorientierten multinationalen Konzernen angeführten Gegenmobilisierung exportorientierter Industrien erfolglos. Noch bedeutsamer war der als Nixon Shock bekannte Kursschwenk im August 1971, der in Form der New Economic Policy unter anderem Nixons handelspolitische Wandlung von neomerkantilistischen Positionen zu einer verstärkten Exportorientierung markierte. Die von ihm nun mit dem Trade Act von 1974 forcierte Handelsliberalisierung fand zwar nun die einheitliche Ablehnung der Gewerkschaftsbewegung – „Worse than no legislation at all“ –, bedeutete aber zugleich das Scheitern des gewerkschaftlichen Kampfes für Textilimportrestriktionen.

Bentons Studie weist einige Vorzüge auf: Nachvollziehbar verzahnt er die komplexe Ereignisfolge mit den Interessenslagen der Akteure und erklärt diese schlüssig, indem er auch in der gemessen an der Breite des Untersuchungszeitraum kurzen Darstellung das komplexe Spannungsfeld sich überlagernder teils gegenläufiger Interessen aufzeigt, in dem die Akteure agierten, und so den Abwägungscharakter vieler handelspolitischer Positionierungen und Entscheidungen herausarbeitet. Dass es ihm zudem gelingt, naheliegenden teleologischen Deutungen zu widerstehen und durch seinen Fokus auf den Protest der Textilgewerkschaften zeitgenössisch denkbare Alternativen und somit die Offenheit der historischen Situation aufzuzeigen, ist ein Qualitätsmerkmal seiner Studie.

Ohnehin kann der Fokus auf die Gewerkschaften als größte Stärke des Buches gelten, bleibt dieser Aspekt in der Forschung zur US-amerikanischen Zollgeschichte doch zumeist unterbelichtet.3 Hier leistet Benton teils wertvolle Pionierarbeit, indem er die Auseinandersetzung zwischen den Textilgewerkschaften und der AFL-CIO sowie deren schrittweise handelspolitische Umorientierung jenseits schablonenhafter Vereinfachungen beleuchtet. Dabei kommt dem Autor seine umfangreiche und gründliche Quellenarbeit, vor allem in Gewerkschaftsarchiven, zugute. Insbesondere die zahlreichen direkten Zitate betroffener Arbeiterinnen und Arbeiter verleihen dem Buch eine nicht selbstverständliche Anschaulichkeit und stellen als lebensweltliche Schlaglichter und Perspektive „von unten“ eine wertvolle Ergänzung zur Schilderung der politischen Verhandlungsprozesse dar.

Dennoch weist Bentons Studie auch einige Schwächen auf, allen voran die irritierende Unwucht im Aufbau des Buches. Trotz des offensichtlich historischen Fokus sind die Einleitung, beinahe das gesamte erste Kapitel sowie das Fazit gänzlich Bentons Trumpismusanalyse gewidmet. Sein Erklärungsmuster – der Trumpismus als Aufstand der Globalisierungsverlierer – kann jedoch kaum als Neuheit gelten. Ärgerlich ist zudem, dass diese Schlussfolgerungen nur bedingt in Verbindung zum Hauptteil des Buches stehen und Benton hier die so lobenswerte Stringenz seiner historischen Untersuchung verliert.

Bezüglich der historischen Analyse ist zu bemängeln, dass die Textilunternehmen als Akteure zumeist hinter den Gewerkschaften zurücktreten. Gerade weil Benton die multinationalen Konzerne der 1970er-Jahre als eine neuaufkommende Herausforderung für die Gewerkschaftsbewegung identifiziert, hätte ein Blick auf den Umgang der zumeist lokal verankerten Textilindustrie mit dieser Herausforderung die Studie gut ergänzt. Zudem verweist Benton in seiner Erklärung des Niedergangs der Textilindustrie relativ einseitig auf die Rolle günstigerer Importe. Aus seiner Darstellung geht jedoch hervor, dass die Branche schon seit den 1920er-Jahren an Überproduktion, veralteter Technologie und ihrer dezentralen Struktur litt. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Faktoren hätte auch die zweifelsohne herausragende Rolle der Billigimportkonkurrenz präziser akzentuieren können.

Aller Kritik zum Trotz überzeugt Bentons Studie durch analytische Schärfe sowie eine nuancierte und quellengesättigte Darstellung. Konzentriert man sich darauf und lässt die eher oberflächlichen Gegenwartsbezüge beiseite, liest sie sich mit einigem Gewinn.

Anmerkungen:
1 Hier wären vor allem die Arbeiten Timothy Minchins zu nennen: Vgl. Timothy J. Minchin, Empty Mills. The Fight against Imports and the Decline of the US Textile Industry, Lanham 2013; ders., Don’t Sleep with Stevens! The J.P. Stevens Campaign and the Struggle to Organize the South, 1963–80, Gainesville 2005; ders., Hiring the Black Worker. The Racial Integration of the Southern Textile Industry, 1960–1980, Chapel Hill 1999; ders., What do we Need a Union For? The TWUA in the South, 1945–1955, Chapel Hill 1997.
2 Neben den Arbeiten Minchins bspw. Steven Fraser, Labor Will Rule. Sidney Hillman and the Rise of American Labor, Ithaca 1993; Michelle Haberland, Striking Beauties. Women Apparel Workers in the United States South, 1930–2000, Athens 2015; Robert D. Parmet, The Master of Seventh Avenue. David Dubinsky and the American Labor Movement, London 2012; Karen Pastorello, A Power among them. Bessie Abramowitz Hillman and the Making of the Amalgamated Clothing Workers of America, Urbana 2008.
3 Eine Gesamtdarstellung zur handelspolitischen Positionierung der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung bleibt bis heute ein Desiderat. Es liegen lediglich einige ältere Aufsätze vor: Lyle Cooper, The Tariff and Organized Labor, in: American Economic Review 20/2 (1930), S. 210–225; Robert D. Leiter, Organized Labor and the Tariff, in: Southern Economic Journal 28/1 (1961), S. 55–65; Daniel J.B. Mitchell, Labor and the Tariff Question, in Industrial Relations 9/3 (1970), S. 268–276.

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